Müde fällt morgens mein Blick auf die Titelseite von Sardiniens größter Regionalzeitung, und einmal mehr glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Denn die Meldung, die durch die größte Überschrift suggerieren will, die wichtigste zu sein, trägt den Titel “Massakriert von Klingen”. Klingen eines Steinschneidegerätes, die gestern in einem Trachyt-Steinbruch der Nordprovinz Nuoro das Leben aus dem Körper eines armen Mannes schnitten, dessen Konterfei den Lesern nicht vorenthalten wird.
Wer will da noch lesen, dass die florentinische Bürgermeister und aufstrebende Jungpolitiker Matteo Renzi, der mit seinem Wahlkampagnen-Camper gerade über die Insel tuckert und zu den vielversprechenderen Erben von Italiens Retter in der Not – Signor Monti – gehört, nach einem Besuch der darbenden Bergarbeiterbranche im Sulcis der alten Politikerkaste die Leviten liest? Ich jedenfalls nicht.
Das ist eine der Sachen, die ich an italienischen Bars so liebe: Da liegen immer viele Zeitungen rum und lassen – im Fall besagter Regionalpresse – den Cappuccino doppelt gut schmecken, weil ich der Sensationslust nicht auch noch 120 Cent in den Rachen werfen muss, nur um mühsam auf den hinteren Seiten nach für die Allgemeinheit wichtigeren Meldungen zu suchen.
Zum Glück gibt es auch andere Zeitungen, und die lese ich in diesen Tagen besonders gern im Schatten einer brontosaurushohen Palme auf der Terrasse meiner Lieblingsbar im Herzen von Cagliari, der Bar Savoia, wo mich – stets mit einem Lächeln auf den Lippen – Raimondo, der padrone, oder Gianni, sein bärtiger Bruder, erwarten.
Ich muss gestehen, dass ich nichts gegen ordentlichen Nebel und viel Laub in schreiend Orange-Rot-Gelb mit gescheiten, saison-immanenten zehn Grad und der Aussicht auf die ersten gescheiten Nachtfröste hätte, denn ich habe mich auch nach elf Jahren noch nicht daran gewöhnt, dass einen hier die Sonne (zumindest theoretisch) selbst an jedem beliebigen Wintertag rösten kann. Und werde es auch nie.
Aber ragazzi: 29 gefühlte (und 25 echte) Grad im Oktober um elf Uhr morgens machen es mir unmöglich, in meinem ufficio zu bleiben. Und so lasse ich mir von der Sonne den Pelz brennen in göttlicher Witterung unter stahlblauem Himmel, versuche mich an einer neunen Strophe zu meinem Schwammdrüberblues und freue mich auf den nächsten Anruf aus Deutschland.
Kurzum: Kaiserwetter, passend zum Bar-Namen – auch wenn’s in diesem Fall nur Könige waren, die einzigen, die die Italiener je hatten (dafür wurden sie von vielen Kaisern regiert, und zwar teu-to-ni-schen), über deren Nachkommen ich mich angesichts des milde stimmenden Wetters nur allzu gern jeden Kommentars enthalte.
Spätestens zur Mittagspause, wenn ich mein erhitztes Haupt zehn Radminuten entfernt vom Zentrum bei einem Bad am Poetto abkühle, den ich mal ganz bescheiden Europas schönstem Stadtstrand nenne, ist all das sowieso nur noch aria fritta. Frittierte Luft.