Der Traum aller Flamingos und Surfer
So still muss es in Sardinien gewesen sein, bevor Tourismus und Industrialisierung die zweitgrößte Mittelmeerinsel entdeckt haben – vor gerade einmal 60 Jahren…
Das könnte denken, wer im Winter an der Westküste über die Peninsola del Sinis fährt – jene Halbinsel, die im Norden den Golf von Oristano begrenzt. Selbst im Sommer von den großen Massen verschont, trifft man von November bis März auf der Halbinsel – soweit überhaupt – meist nur zwei Spezies an: Sa genti arrubia, wie Sarden die Flamingos nennen, ‘die roten Leute’, die sich im spiegelglatten Wasser der Salinen den Tag in die Beine stehen, und surfisti, Wellenreiter.
Die Mistral-Wellen von Capo Mannu am Nordwestzipfel der Sinis-Halbinsel, der fast zehn Kilometer vom Sockel der Hauptinsel ins offene Meer hineinragt, haben den Ort zu einer Art Hawaii Sardiniens werden lassen. Was die Höhe betrifft, sind sie zwar nur ein feuchter Abklatsch. Aber sie belohnen die Surfer, die geduldig wie Haifische auf die Welle mit Biss warten, mit zuckersüßen rides von bis zu 200 Metern Länge.
Landschaftlich gehört die windgekämmte Gegend zu den schönsten und abwechslungsreichsten der gesamten Westküste. Steilklippen, kleine Buchten, Strände wie Is Arutas, wo es verboten ist, den herrlichen Sand einzusacken, der hier aus reiskorngroßen Quarz- und Muschelkieseln besteht: Wer Hunger auf Natur hat, weiß gar nicht so richtig, was man hier zuerst erforschen soll.
In den vergangenen Jahren sind auf der hügeligen Sinis-Halbinsel sowie im angrenzenden Hinterland mehrere neue Restaurants, agriturismi und Hotels entstanden, die zum Teil sehr geschmackvoll eingerichtet wurden und die Gegend zaghaft aus ihrem Dornröschenschlaf holen. Dazu zählt auch das Hotel Lucrezia – ein alter Gutshof, jetzt malerische Oase der Ruhe mitten im Zentrum von Riola. Oder das Aquae Sinis in Cabras, ein kleines und hübsches Spa-Hotel, von dessen Terrasse aus man einen herrlichen Blick über die Dächer des Ortes und den riesigen Brackwasser-See hat, der die ganze Insel mit Meeräschen und deren als Delikatesse geltenden, gepökelten Rogen, bottarga genannt, versorgt.
Wer die windstill warmen oder stürmischen kühlen Wintertage in dieser Gegend allerdings lieber ganz in Ruhe verbringen will, sollte auf alle Fälle nach Ferienwohnungen Ausschau halten. Selbst Häuser, die direkt am Meer liegen, sind in dieser Zeit konkurrenzlos günstig zu mieten. Und wer es richtig gemütlich haben will, sollte auf einen Kamin achten: Einmal angeworfen, versorgt er das Haus mit August-Hitze, denn so richtig kalt wird es an der Küste nie.
Kamine sind hier übrigens keinesfalls Zierde, sondern in den alten Häusern oft noch immer die einzige Heizquelle, die auch als Feuerquelle zum Grillen von Fleisch und Fisch dient – und damit jener Platz ist, wo sich 90 Prozent des häuslichen Lebens im sardischen Winter abspielen. Eine Gemütlichkeit, die nur schwer zu toppen ist.