Es war eine haarsträubende Zangengeburt, die sich über Jahrzehnte hinzog. Eine Zangengeburt, in deren Verlauf eine der wertvollsten archäologischen und landschaftlich schönsten Stätten der Hauptstadt fast im tiefen Sumpf von Bauspekulationen für immer verschwunden wären. Die orchestriert wurde von einer konservativen Politiker-, Bauunternehmer- und Zeitungskaste, die bis zu den letzten Kommunalwahlen 2011 über vier Jahrzehnte alle Fäden in der Stadt nach Belieben gezogen hat. Doch von heute an, dem 10. Mai 2014, haben sich zum Auftakt der Veranstaltungsreihe Monumenti Apertiendlich die Tore zu einer der historischen Perlen der Hauptstadt geöffnet: Tuvixeddu, die größte Nekropole der Phönizier im gesamten Mittelmeerraum, die Cagliari vor rund 2500 Jahren gegründet haben. Sie besteht aus mehreren Tausend senkrecht in den Kalkstein reingetrieben Grabkammern, von denen ein Teil im oberen Bereich der Nekropole bereits unwiederbringlich unter neuen Hochhäusern verschwunden ist.
Tuvixeddu (sardisch für: durchlöcherte Gegend; das ‘x’ wird wie ein französisches ‘j’ ausgesprochen) liegt 15 Gehminuten nördlich vom Hauptbahn auf einem blendend weißen Kalkhügel, von dem man einen erhabenen Ausblick auf den Brackwassersee Santa Gilla bis zu den Sulcis-Bergen und tief ins Südende der Campidano-Tiefebene hinein hat, die sich von Cagliaris Golfo degli Angeli (Golf der Engel) bis zum Golfo di Oristano über 110 Kilometer erstreckt. Oder besser gesagt: erhabenen Ausblick hatte. Denn das einzige, was völlig deplatziert scheint, sind vier gigantische Hochhäuser, die zwar nicht hässlich sind, aber das Panorama in Stücke geschlagen und den Blick auf einen großen Teil des Stagno di Santa Gilla, in dem Flamingos gründeln und Miesmuscheln gezüchtet werden, verbaut haben.
Der Erbauer dieser Monster-Klötze heißt Sergio Zuncheddu, italienweit operierender Bauunternehmer und Herausgeber von Sardiniens größter Tageszeitung L’Unione Sarda, die zufällig genau dort residiert und – ganz Gönner, deutlich devot – dort gleich eine ganze Piazza nach sich selbst benennen ließ. Zuncheddu wiederum hatte 2011 im Wahlkampf mit allen Regeln und Nicht-Regeln der Kunst versucht, Massimo Fantola, einen Ex-Senator und Bruder seines eigenen Zeitungs- und Firmen-Vizes Carlo Ignazio Fantola, zum neuen Bürgermeister von Cagliari zu machen. Doch Cagliari, bis dahin vom Stiefelschaft bis zur Spitze als “schwärzeste Stadt Italiens” verhöhnt, machte nicht mehr mit. Und ließ den 63-jährigen Fantola gegen den 34-jährigen gelernten Schauspieler Massimo Zedda, von den Mitte-Links-Parteien als Gegenkandidat auserkoren, in der Stichwahl haushoch durchfallen.
Auch das Amphitheater, das noch näher Richtung Centro Storico liegt, sich in dieselbe Blickrichtung öffnet und von den römischen Erbauern vor 2000 Jahren malerisch in den Schoß eines kleinen Felsschlundes hineinkonstruiert wurde, ist vom heutigen Tage in der Regel zumindest dreimal täglich geöffnet. Misswirtschaft und totale Verbauung als Veranstaltungsbühne unter der Regie von Zeddas Vorgängern hatten aufwändige Restaurationsarbeiten notwendig gemacht, die noch nicht vollständig abgeschlossen sind.
Die Veranstaltungsreihe Monumenti Aperti dauert bis zum 1. Juni. In dieser Zeit sind in an bestimmten Wochenenden in insgesamt knapp 50 sardischen Kommunen Museen, Denkmäler und archäologische Stätten gratis geöffnet. Allein in Cagliari sind es an diesem Wochenende 67. Die Grundidee, mit der Veranstaltungsleiter Fabrizio Frongia das Kulturereignis 1997 in Cagliari aus der Taufe gehoben hatte, ist die Einbindung von Schülern aller Altersklassen, die freiwillig die Führungen an den Kulturstätten übernehmen – und durch Gespräche in den Familien und im Freundeskreis so zum größten Multiplikatoreffekt für das Ereignis werden. In Cagliari sind an diesem Wochenende rund 5000 Schüler unterwegs.
Hier gibt es einen kompletten Überblick zu allen Veranstaltungsorten in ganz Sardinien.