Ruhe, Sturm und warmer Feigenduft: Ode an die andere Jahreszeit auf Sardinien
Nein. Dieses Bild ist kein klassisches für den sardischen Herbst. Nicht, weil es eine dichte Wolkenwand zeigt, die Regen bringt. Sondern weil es einen englisch gemähten Rasen, peinliche Palmenpositionen und einen Pavillon auf einer Klippe zeigt, was nun wirklich alles nichts, aber auch gar nichts mit dem echten Sardinien zu tun hat.
Das Bild zieht mich trotzdem magisch an, weil ich in ihm wiederfinde, was ich auf der Insel schon zahllose Male erlebt und genossen habe, immer wieder genieße und was hier unverwechselbar ist: die gediegene Stille des Herbstes, wenn sich die Wärme des Sommers mit nur kleinen Schritten verliert, gespeichert in den dicken Wänden der alten sardischen Häuser, den Felsen, dem Meer.
In dieser Zeit erwacht die ausgedörrte Vegetation der Insel wieder zum Leben. Der Regen kitzelt Grün aus verdörrten Steppen, fleckt die Landschaft mit Blumenteppichen. Und während in Mitteleuropa nach dem Aufflammen der Blätter alles nackt, braun und grau wird, explodiert hier eine wiederkehrende Üppigkeit, die den Indian Summer auf den Tisch zaubert. Rubinrote Granatapfelfrüchte. Khaki, die reif wie orange getränkter Alabaster aussehen. Dornige Artischocken, deren Herz Blatt für Blatt roh in ein leicht gesalzenes Dressing aus Zitrone und Olivenöl getunkt abgebissen und als Antipasto verspeist werden. Knallrote Meerkirschen, deren zarte Süße eine einzigartige Marmelade ergibt und deren Blütenpollen einen Herbsthonig, in dessem süß-bitterem Geschmack sich die Seele der Insel und ihrer Menschen widerspiegelt.
Und all das wird gesäumt von einem Meer, das wieder so ist, wie es war, bevor Gäste vom Kontinent kamen. Die hier ohnehin viel später als sonst wo in Italien landeten, zaghaft zögerlich, erst Anfang der 60-Jahre, und selbst heute noch immer nicht einmal ansatzweise in den Scharen der Adria oder Riviera. Ein Meer, dessen klares Türkis unter dunkelgrauem Gewölk eine Leuchtkraft entwickelt, die alle Sommertöne in den Schatten stellt. Das in den Nächten stets deutlich wärmer ist als die Lufttemperatur. So warm, dass man noch immer herrlich baden kann. Und oft selbst im Dezember noch über 20 Grad warm, falls der Herbst – wie in diesem Jahr – nicht zu stark verregnet ist.
Perfekt lässt sich der Beginn dieser stillen Jahreszeit, die die Insel wieder authentisch macht, genießen in einem alten, sardischen Haus, das einen Kamin in der Küche hat. Dort spielt sich in den Häusern auf dem Land noch heute das familiäre Leben in der dunkelnden Jahreszeit ab, die Scheite auf der Glut der Nacht jeden Morgen mit einer Handvoll Reisig wieder entzündet, bevor der erste heiße Espresso aus der Aluminium-Caffettiera blubbert.
Hier reichen ein gefüllter Kühlschrank, guter sardischer Wein und Stapel Bücher zur totalen Entspannung, Meersalz auf der Haut und den ruppigen Mistral im zerzausten Haar. Und wer das Glück hat, in die feinen Duftschwaden eines Feigenbaums zu geraten, an dem ein paar vergessene Früchte hängen, der weiß, wie die Vorweihnachtszeit auf Sardinien riecht…