79 und kein bisschen müde: Naturpark will Europas Robinson von seinem Paradies Budelli vertreiben
Er schützt die Umwelt, verjagt freche Gäste, die das Bade- und Ankerverbot missachten und versagte sogar Flavio Briatore und Naomi Campbell ein Mittagessen auf seiner überdachten Veranda. Doch nun will der Naturpark des Maddalena-Archipels Mauro Morandi, den Inselwächter und Eremiten, nach 30 Jahren von Budelli aus seinem Paradies vertreiben.
Normalerweise verlässt Mauro Morandi seit 29 Jahren meistens Ende November sein nur 1,6 Quadratkilometer kleines, einsames Eiland für wenige Wochen. Ein Kurztrip in die Zivilisation in seine toskanische Heimatstadt Modena, wo er seine Töchter und seine Freundin besucht und sich mit neuen Bücher für den langen Insel-Winter eindeckt.
Doch diesmal bleibt die Weihnachtskulisse für den 79-jährigen Eremiten die wind- und wellenumtoste See um Budelli an der Meerenge von Bonifacio zwischen Sardinien und Korsika. Denn nach fast einem Drittel Jahrhundert als Insel-Wächter will die Verwaltung des Naturparks vom Maddalena-Archipel den italienischen Robinson Crusoe Anfang 2019 aus seinem Paradies endgültig vertreiben. Und der Methusalem-Robinson wehrt sich dagegen mit Händen und Füßen.
Die Ankündigung hat eine Welle der Sympathie in italienischen Medien ausgelöst. Das kritische Satire-TV-Format “Le Iene” (Die Hyänen) besuchte Morandi auf Budelli und forderte die Italiener auf, sich an einer Briefaktion zu beteiligen. So soll der Direktor der Parkverwaltung Fabrizio Fonnesu überzeugt werden, den 79-Jährigen dort leben zu lassen. Zahlreiche regionale und nationale Zeitungen widmen der geplanten Verjagung von Morandi viel Platz, selbst der Mailänder “Corriere della Sera”. Das Video von”Le Iene” wurde inzwischen mehr als zwei Millionen Mal geklickt.
Budelli, im Nordwesten des Maddalena-Archipels gelegen, ist nur etwa so groß wie Helgoland. Es gibt dort nur ein einziges Haus aus Stein, das im zweiten Weltkrieg als Unterkunft für einen kleinen Beobachtungsposten gebaut wurde. Die Soldaten hatten den Auftrag, auf dem 86 Meter hohen “Dach” der kleinen Insel die Meerenge zwischen Sardinien und Korsika zu überwachen. Die Reste sind noch immer zu sehen auf dem Granithügel.
Doch die winzige Insel, auf der es außer dem Haus und der kleinen Beobachtungsschanze nichts als mediterrane Macchia und Felsen gibt, zählt zu den legendärsten Orten von ganz Sardinien. Und daran ist vor allem die “spiaggia Rosa” schuld, der “Rosa Strand”, der seinen Namen kleinen muschelähnlichen Krustentieren verdankt, die üppig in den Algenwiesen vor der Insel gedeihen und nur hier in größeren Mengen durch eine bestimmte Strömung an die kleine Bucht gespült werden, was dem Sand die besondere Farbe verleiht.
Weltbekannt machte das gediegene Idyll Meister-Regisseur Michelangelo Antonioni 1964 mit seinem ersten Farbfilm “Die Rote Wüste”. Der Neorealist drehte eine sechsminütige Traum-Szene seiner Muse, Geliebten und Hauptdarstellerin Monica Vitti genau hier am Rosa Strand.
Seit die Insel 1994 in den damals gerade neugegründeten Maddalena-Nationalpark aufgenommen wurde, waren Strand und Bucht jedoch schlagartig tabu für die Öffentlichkeit.
Und das war auch gut so. Denn nachdem die Sommergäste, die oft mit fetten Yachten direkt vor der Bucht ankerten, den begehrten rosa Sand fast vollständig geklaut und die Meerflora durch pausenloses Ankerwerfen massakriert hatten, war eine Atempause dringend nötig. Morandis Wärterfunktion bekam plötzlich sogar einen offiziellen Sinn, der den Nationalpark keine Lira kostete.
Doch nachdem die Region Sardinien nach einer öffentlichen Versteigerung und endlosen Rechtsstreitigkeiten 2015 für 2,9 Millionen Euro neuer Besitzer von Budelli wurde, schlug Morandi ein immer schärferer Wind entgegen. Der kauzige Senior, der seither gratis für den Naturpark das Betretungsverbot überwacht, angeschwemmten Müll vom Strand klaubt und renitente Badegäste mit Pfiffen und Geschrei aus der Bucht verjagt, ist für die Parkverwaltung eher ein Problem. Sie will den einstigen Lehrer dort rausschmeißen, um ein Umweltzentrum in Morandis Behausung einzurichten. “Was soll ich den in einem Altersheim, wo ich Karten spiele und TV glotze?”, sagt Morandi Sardinien Intim – und hofft auf ein Wunder.
Der Modenese war 1989 mit einem Katamaran von der toskanischen Küste gestartet, um sein irdisches Paradies wie Paul Gaugin oder Jacques Brel in Polynesien zu suchen. Doch schon am Abend nach dem In-See-stechen war die Fahr in Budelli beendet. “Ich habe auf den Rosa Strand geguckt und gedacht: Halleluja, das IST die Südsee, ich bleibe hier.”
Und Morandi hatte Glück. Denn der damalige Inselwärter packte damals gerade die Sachen, weil seine Frau dem Inselkoller erlegen war. Er packte die Chance am Zopf, einigte sich mit dem Eigentümer und kümmer sich nur zwei Tage später fortan offiziell darum, dass auf der Insel nicht jeder machte, was er wollte.
Wie begehrt der Ort ist, der an der Nordgrenze der mondänen Costa Smeralda liegt, erzählte Morandi dem Blog-Autor für eine Playboy-Reportage. Eines schönen Tages, so Morandi, sei der Formel-1-Millionär Flavio Briatore mit seiner damaligen Freundin Naomi Campbell vorbeigeschippert. Er habe gefragt, ob er und Naomi auf der Terrasse unter dem Schilfdach zu Mittag essen könnten. “Ich habe ihnen gesagt: ‘Tut mir leid, das ist kein Restaurant, aber einen Kaffee kann ich Ihnen anbieten.” Worauf hin Briatore, der mit dem “Billionaire” die damals schon die bekannteste Diskothek der Insel an der Costa Smeralda betrieb, enttäuscht abgezogen sei.
Monate später habe er Briatore zufällig in einer Promi-Sendung im Fernsehen gesehen. “Die Moderatorin fragte ihn: ‘Herr Briatore, Sie haben alles, was ein Männerherz begehrt – die schnellsten Autos der Welt, die schönsten Frauen der Welt, wahnsinnig viel Geld… gibt es eigentlich überhaupt irgendetwas, was sie gern hätten, aber nicht bekommen?’ ‘Ja’, hat Briatore dann geantwortet: ‘Ich möchte auf der Terrasse unter dem Schilfdach vor dem Rosa Strand auf Budelli zu Mittag essen.'”
Und immer, wenn Mauro diesen Satz erzählt, zerreißt sein rauchiges, tiefes Lachen die verdutze Stille seiner Zuhörer.