Cagliari, 4, Januar 2022. Wie im wahren Leben ist auch bei der Fotografie nicht alles Gold, was glänzt. Legten digitale Hexer zuerst Hand an körperliche Makel oder solche, die vermeintlich dafür gehalten werden, entwarfen Filter, Verzerrer und Apps, die mit einem Klick zumindest virtuell das schaffen, was Schönheitschirurgen für Tausende Euro auf dem OP-Tisch der Eitelkeiten zurechtschneiden, kann man auch bei unglaublichen schönen Naturfotos längst nicht mehr sicher sein, was echt ist und was Fake.
Doch das gilt nicht für Ivan Pedretti, Sardiniens Meister der magischen Nachtfotografie.
Zwar stimmt es, dass seine galaktisch schönen Aufnahmen Dinge darstellen, die das menschliche Auge so nie sehen wird, weil Kontrastspielraum und Lichtempfindlichkeit unseres Sehorgans viel zu klein sind, um ein solches Detailreichtum auf die Netzhaut zu zaubern. Doch bei Pedretti kommen durch die Kombination von zaghafter künstlicher Ausleuchtung der terrestrischen Umgebung und behutsam digitaler Nachbearbeitung des Himmels Sandwichbilder von ein und demselben Motiv heraus, die so ausgewogen, echt und faszinierend aussehen, dass man sich wünscht, wenigstens einmal im Leben an einem Ort zu sein, wo dieser Ausblick möglich ist.
Theoretisch wäre ein solches Foto sogar möglich – wäre da nicht das, was auf der Erde das Leben erhält und überhaupt erst möglich machte: die Atmosphäre. Ohne sie gäbe es uns zwar nicht, doch verhindert eben genau diese Erdatmosphäre Motive, wie Ivan Pedretti sie fotografiert. Denn das, was allgemein als Luft bezeichnet wird, ist keinesfalls so leer, wie es klingt, sondern in Wahrheit ein Gasgemisch aus Stickstoff (knapp 79 Prozent), Sauerstoff (rund 20 Prozent), Argon (knapp 1 Prozent) sowie Spurengasen und Aerosolen. Die Moleküle sorgen durch Lichtbrechung dafür, dass das Sonnenlicht tagsüber unseren Himmel hellblau wird, taucht unser Zentralgestirn bei Auf- und Untergang nahe dem Horizont, wenn es einen besonders langen Weg durch die Atmosphäre zurücklegt, in rotes Licht. Und last, but not least schluckt sie nachts ein Großteil des Lichts von Sternen, die nicht hell genug strahlen, um die Atmosphäre bis zur Erdoberfläche zu durchdringen.
[rl_gallery id="9991"]
Dank der im wahrsten Sinne des Wortes astronomischen Leistungsfähigkeit moderner Photosensoren ist es möglich, durch Nachbearbeitung vor allem des Sternenhimmels am Computer Ergebnisse zu erzielen, deren Brillanz und Detailreichtum weder Bergsteiger auf dem Mt. Everest, Linienflugpiloten und selbst Astronauten weder von der ISS noch vom Mond aus je sehen können. So bringt es die Sony Alpha 7 III mit seinem Vollformatsensor auf mehr als 24 Megapixel und eine Lichtempfindlichkeit von bis zu 51200 ISO. (Die Digitalfotografie ist übrigens den Astronomen zu verdanken, die vor 40 Jahren die ersten digitalen Fotosensoren für die Astrofotografie entwickelten.)
Wenn dann noch ein Gewitter am entfernten Meereshorizont ein Sommergewitter in die Szenerie hineinblitzt, vereinigen sich auf einem einzigen Foto viele Elemente, die letztlich das Leben auf unserem Planeten entstehen lassen haben – und zumindest mir eine Gänsehaut den Rücken runterlaufen lassen…
Wie ein solcher Anblick sich wohl anfühlt, wenn man ihn bei einem nächtlichen Bad im 27 Grad warmen Mittelmeer genießen könnte? Wenigstens von diesen aktuellen Wasseroberflächentemperaturen muss auf Sardinien niemand träumen! Und wer noch bis August wartet, der kann mit etwas Glück wenigstens das Meeresleuchten sehen, das biolumineszentes Plankton nach viel Sonne in der Nacht erzeugt…
Wer die Kunst der Gänsehaut-Nachtfotografie bei Ivan Pedretti erlernen will, kann dies bei Fotokursen tun, die er immer wieder anbietet. Kontakt und Info gibt es hier.