War Gletschermann Ötzi ein Sarde? Die Geschichte einer irren Odyssee
Cagliari, 26. Juli 2023. Seit 1991 wird die weltbekannte Mumie mit dem Spitznamen Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen aufbewahrt. 1991 wurde in 3210 m Höhe sein in Eis eingebetteter Körper von zwei deutschen Touristen entdeckt. Jetzt ruhen seine Überreste in einer hochmodernen Kryo-Zelle, aus der er jede 8 bis 10 Jahre zum Zweck der Wissenschaft kurz entlassen wird.
Bei der letzten Untersuchung kam heraus, dass Ötzi offensichtlich kein Altoatesino (Südtiroler) war, sondern Sarde, was nach der beträchtlichen Entfernung der Insel von den Alpen eine recht bemerkenswerte Aussage ist.
Ist vor 5300 Jahren ein Sarde mit einem Floß aus Schilf über das Mittelmeer nach Norditalien gepaddelt?
Voreilige Jubelzeile vom Corriere della Sera zum sardischen Ötzi
Dies suggeriert zumindest die Überschrift der ersten Meldung des Corriere della Sera vom 5. Juli über einem Interview mit der Prof. Martina Tauber (Anatom-Pathologin an der Klinik Bozen und Verantwortliche der Mumie): “Er war Sarde, hatte hohes Cholesterin und 61 Tattoos. Und: in den letzten Jahren hat er zugenommen”.
Doch dummerweise erwies sich die Meldung als etwas voreilig.
Was Prof. Taubers eigentliche Meinung ist, weist keineswegs auf eine so klare Aussage hinaus: “Mütterlicherseits ist seine genetische Linie ausgestorben; diese seltene Untergruppe des Homo-Sapiens gibt es heute nicht mehr. Die väterliche Linie aber ist auf Sardinien und Korsika zu finden”.
Auch die Paläogenetikerin des EURAC Instituts Angela Graefen distanziert sich mit einer Richtigstellung weiter von der Insel-These: “Die sogenannte Y-chromosomale Haplogruppe G2a4 verbreitete sich mit einer massiven Migration etwa 1000 Jahre vor Ötzis Lebzeiten vom nahen Osten in Europa aus.”
Mit der Zeit vermischte und verstreute sich diese Haplogruppe und ist nur deshalb auf den beiden Inseln stärker nachweisbar, weil sie so isoliert sind, so Graefen weiter. “Möglicherweise ist die Haplogruppe auch im Alpengebiet häufiger, nur stehen bis heute nicht genug Daten zur Verfügung um dies zu bestätigen.”
Genetiker auf Sardinien weist nach, das Ötzi kein Sarde war
Professor für Human Evolutionary Genetics Paolo Francalacci, der an der Universität Cagliari unterrichtet, hat mit einer Grafik Ötzis genetisches Abenteuer rekonstruiert. Darauf ist zu erkennen, dass er kein Sarde sein konnte.
Im besten Fall sind Ötzi und die Sarden also nur sehr entfernte Verwandte. Kurz danach bestätigte dies das Südtiroler Archäologiemuseum selbst: “Danke für die akkurate Überprüfung. Wir bestätigen Professor Francalaccis These. Die Formulierung, dass Ötzi Sarde gewesen sein ist leider, ein Journalistisches Missverständnis… Um es in Kürze zusammenzufassen: bis zu 20 Prozent der sardischen und korsischen Population teilt sich den genetischen Hintergrund einem von Ötzis Vorgängern, der mit der Neolitischen revolution (etwa vor 6300 Jahren, also 1 Jahrtausend vor Ötzi) nach Europa gewandert ist. Die Schlussvolgerung, dass Ötzi Sarde sei, ist also falsch.”
Wer Lust hat, sich noch mal Aufnahmen zur Ausgrabung von Ötzi anzuschauen, dem sei ein Link zu einer Kurz-Doku vom ZDF empfohlen.