Carloforte, 28. März 2022. Es ist wieder soweit: Zu Hunderttausenden strömen die begehrten Rotflossen-Thunfische vom Atlantik ins Mittelmeer auf ihrem Weg zu den Laichgründen im Schwarzen Meer. Der Weg führt sie jedes Frühjahr unter anderem vorbei an der Westküste Sardiniens.
Über Jahrtausende hat sich hier dieses alte Handwerk gehalten. Doch die Zeiten des Thunfischfangs haben sich inzwischen stark geändert. Die Schwarzweißbilder in diesem Post noch nicht so alt. Doch sie haben etwas Entscheidendes gemeinsam mit der mattanza, wie die alte phönizische Art des Thunfischfangs genannt wird, die ohne Motoren auskommt und nur auf Muskelkraft und Handwerk vertraut: das Handwerk, mit dem sie entstanden, ist fast komplett untergegangen.
Die Bilder sind in der Saison 2003 an der Nordostspitze der Isola di San Pietro vor Sardiniens Südwestküste entstanden. Zu einer Zeit also, als in Sardinien noch die letzte stationäre Thunfischfanganlage in Betrieb war. Und als die Digitalfotografie noch in den Kinderschuhen steckte und die meisten Fotografen und Reporter wie ich selbst noch mit mechanischen Kameras und den phantastischen Schwarzweißfilmen arbeiteten. 3000 Negative etwa, Ilford- und Kodak-Filme zwischen 100 und 400 ASA, entwickelt in einer improvisierten Dunkelkammer auf dem Dachboden meines Wohnhauses in Carloforte, wo ich vier Jahre gelebt habe.
Zwar werden noch immer gelegentlich die riesigen Reusensysteme bei La Punta am Nordostzipfel der Isola di San Pietro zu Beginn des Frühjahrs ausgelegt. So ganz ist das Handwerk der mattanza also noch nicht verschwunden. Doch die Fangquoten des Rotflossen-Thun, dem begehrtesten aller Thunfische, sind inzwischen so stark runtergesetzt worden, dass sich der Betrieb dieses noblen Fischereihandwerks, das die Phönizier vor 2500 Jahren entwickelt haben und in Sardinien noch in den 80er-Jahren an mehreren Orten unverändert fortbestand, wirtschaftlich nicht mehr rentiert.
Die Mattanza in dieser Form ist so gut wie verschwunden, was vor allem an der starken Überfischung und den immer weiter gesunkenen Fangquoten liegt, die den wirtschaftlichen Betrieb der Tonnara wie in alten Zeiten nicht mehr ermöglichen.
Doch wie sah das eigentlich aus, dieses Handwerk, und was war auf der Isola di San Pietro so besonders daran?
Sarden hatten vor dem Meer vor allem eines: Angst
Dass sich ausgerechnet auf der Isola di San Pietro die stärkste Thunfischergemeinde bildete, ist kein Zufall. Denn die Carlofortini sind ethnologisch gesehen keine Sarden, sondern Nachfahren ligurischer Korallen- und Thunfischer, die im 16. Jahrhundert aus Pegli bei Genua nach Tunesien auswanderten sind und sich Mitte des 18.Jahrhunderts auf der Isola di San Pietro niederließen. Noch heute sprechen sie statt Sardisch hier ihren alten genuesischen Dialekt. Ihre Tracht ist ligurisch, viele haben blaue oder grüne statt schwarze Augen, sind einen Kopf größer als die Sarden. Und wenn sie nach Cagliari fahren, sagen sie: “Anemmu in Sardegna” – “wir fahren nach Sardinien”.
Die Riesenmakrele kann bis fast fünf Meter lang werden, über 600 Kilo wiegen und zählt mit einer Geschwindigkeit von mehr als 70 Stundenkilometern neben dem Blue Marlin zu den schnellsten Fischen der Weltmeere. Eine Art Maserati des Meeres also – und Traum zahlloser Sushi-Bars in Japan, die den Löwenanteil dieser Beute verschlingen. Ab 15 Euro ist das Kilo in Sardinien zu haben, 1000 Euro pro Kilo sind bei den Auktionen auf dem Tsukiji-Fischmarkt in Tokio keine Seltenheit. Im Januar 2013 wurde der bislang höchste Preis erzielt, der keine Zweifel mehr daran lässt, wie degeneriert der Sushi-Markt inzwischen ist: ein 222 Kilo schwere, tiefgefrorenes Tier kam für 1,3 Millionen Euro (Einskommadreimillionen) unter den Hammer – fast 6000 Euro pro Kilo – oder 6 Euro pro Gramm.
Eine der letzten mattanzas ist als 6-Minuten-Reportage bei Deutschlandradio Kultur zu hören gewesen. Viel Spaß beim Eintauchen in die Welt der Corrida des Meeres: