Cagliari, 14. April 2024. Sardinien steht für viele Superlative, und die meisten haben etwas mit Sommer und Sonne zu tun. Einer aber – die gediegene, unverwechselbare Schönheit der Sarden selbst – ist in ihrer vollendeten Form nicht etwa in fast völliger Textilfreiheit am Strand zu erleben, sondern bei zwei jahrhundertealten traditionellen Volksfesten: der “Sagra di Sant’Efisio” am 1. Mai in Cagliari und der “Sagra del Redentore” in Nuoro am 29. August.
Diese Feste waren es auch, die den cagliaritanischen Fotografen Carlo Marras weit über die Insel hinaus bekanntgemacht haben. Marras, der fotografierend bis 2013 noch mit dem Smartphone auf den Spuren seines Großvaters im Marina-Viertel von Cagliari direkt am Hafen unterwegs war, der den Hafenkiez dokumentierte, damals in Cagliari durchaus eine große Seltenheit, gelangen bei der Sagra di Sant’Efisio 2014 einige Schnappschüsse, die auf einschlägigen Foto-Portalen wie “500px” Aufsehen erregten. Vor allem jener dreier junger Witwen aus Barrali.
Schwarze Witwen in vollem Ornat am Strand Sardiniens
Die schwarzen Witwen, die sieht man sogar gelegentlich am Strand, im Hochsommer, wenn die Touristen im September fort sind – auf einem Klappstuhl unter einem riesigen Sonnenschirm, in vollem Ornat. Bei den jungen Frauen wirkt diese archaische Schönheit allerdings noch viel intensiver. Und Carlo Marras hat sich darauf spezialisiert, sie einzufangen.
Wer sich Marras Bilder auf Facebook, Instagram und seiner Homepage anschaut, bekommt einen sehr guten Einblick in die facettenreiche sardische Tracht, die auf dieser Insel im Gegensatz zu allen anderen mediterranen noch nie einfach nur eine zur Schau gestellte Tradition ist, sondern gelebte Folklore, die auch auf den vielen Festen der 377 sardischen Gemeinden, meist kleine Dörfer, bei festlichen Anlässen hervorgeholt werden. Leicht lässt sich am Alter der Teilnehmer der Kirmessen ablesen, dass Tradition hier nichts mit Trachtenvereinen zu hat, für die es erst eine gewisse Reife braucht.
Die größte Wirkung erzielen Marras Bilder der manchmal fast puppenartig wirkenden Gesichter der Frauen im Schatten, wo Physiognomie und textile Raffinesse, in wochenlangen Handarbeiten von den Frauen selbst oder zumindest in der Familie genäht, magisch um die Aufmerksamkeit buhlen. Vor allem die Schwarzweißfotos bestechen, denn sie konzentrieren sich auf das Wesentliche.
Marras gelingt es, diese sardische Mystik, in denen sich spanische und phönizische Wurzeln des Jahrtausende in der Isolation gelebt habenden Mittelmeervolkes spiegeln, mit seinen Bildern festzuhalten.
Wer sie selbst erleben will, sollte sich jetzt um die Reise nach Cagliari für den 1. Mai kümmern und ein, zwei Tage hinten und vorne dranhängen.